Naomi Schencks Material ist ein Fundus von Arbeitsfotografien. Im RAUMARCHIV sammelt sie seit vielen Jahren den Ausschuss ihrer Arbeit als Szenenbildnerin für Kino- und Fernsehfilmproduktionen, Tausende von Motivfotos vorgeschlagener Drehorte, die nicht zum Zuge kamen. Aus diesem Fundus wählt sie, von einem formalen, kompositorischen Interesse geleitet, Einzelbilder aus, löst sie aus ihrem zeitlichen, räumlichen und zweckgebundenen Kontext, und setzt sie zu vertikalen Diptychen und Triptychen zusammen. Auf diese Weise landet zum Beispiel die namibische Nationalbibliothek über dem Hinterzimmer eines Hamburger Elektrogeschäfts oder die Küche einer irischen Familie über den verlassenen Kellergängen eines Ostberliner Schwimmbads. Die Bilder werden randlos aneinanderfügt. Es entsteht eine Raumflucht, die so sinnfällig, zusammengehörig und von einem magischen Sog durchdrungen ist wie Räume in einem Traum oder auf einem Storyboard.

Der funktionale Entstehungskontext bleibt den Fotografien dabei eingeschrieben, als eine Art Resonanzboden, der im Hintergrund mitschwingt. Die industriellen Produktionsbedingungen der Filmbranche – ihre von Zeit- und Kostenbudgets formierte Motivsuche, die standardisierte Verfertigung der Fotografien, aber auch deren in jahrzehntelanger Übung zu "blinder" Routine geronnene handwerkliche Qualität – liegen als diskrete Tiefenschicht hinter dem, was die Bilder zeigen: Menschenleere Innenräume, zumeist aus der gleichen Perspektive (etwas tiefer als Augenhöhe) und mit dem gleichen Objektiv (28er Brennweite) aufgenommen, ohne zusätzliche Lichtquellen zur vorhandenen Beleuchtung.

Der künstlerische Prozess beginnt mit der Sichtung der Sammlung – der Umnutzung des Archivs als Fundus. Die Künstlerin entreißt die Bilder der Flüchtigkeit ihres Verwertungskontexts, sie erlaubt ihnen zu verweilen. Das Vorgefundene, Dokumentierte lässt sie gänzlich unangetastet. Die künstlerische Intervention beschränkt sie auf seine beinah berührungsfreie Umordnung. So gelingt es Naomi Schenck, das darin enthaltene Geheimnis und die darin verwahrten Möglichkeiten ungeschmälert durch den Filter des künstlerischen Zugriffs passieren zu lassen – und die verworfenen Räume selbst, nicht bloß die sie dokumentierenden Bilder, dem Betrachter zur Erforschung zu überlassen.

Copyright Naomi Schenck 2011